Text aus: „Digitale Transformation in Unternehmen — Navigationskompass für die Reise in die digitale Welt“.


Navigieren in neuen Gewässern: Unsicherheit und Risiken richtig managen

Eine der grundlegendsten Eigenschaften einer digitalen Transformation ist, dass sie mit Unsicherheit behaftet ist: Werden die Kunden das neue digitale Geschäftsmodell begrüßen, ignorieren, oder gar ablehnen? Was passiert, wenn unvorhergesehene technische Probleme auftreten? Wird die Organisation die Veränderung wie erhofft mittragen? Welche digitale Technologie wird sich durchsetzen, welches Geschäftsmodell wird am Ende erfolgreich sein?

Analog zu Risiken in der Seefahrt — Stürme und Flauten, Untiefen und Eisberge, Materialschäden, Piraten oder gar Meuterei — erfordert jede digitale Transformation ein effektives Management von Unsicherheiten und Risiken. Grundsätzlich gibt es dabei zwei (komplementäre) Ansätze:

  1. Unsicherheit reduzieren: Analog zu exakteren Seekarten und Wettervorhersagen, können intelligente Marktforschung oder eine frühe Validierung von Ideen mit Prototypen und Experimenten böse Überraschungen vermeiden helfen.
  2. Flexibel mit Unsicherheit umgehen: Wenn doch einmal etwas Unvorhergesehenes eintritt, kann ein robustes Schiff mit einer gut ausgebildeten, entscheidungsfähigen Crew Risiken abfedern und Schäden minimieren.

Manager vor allem großer Unternehmen haben oft die Tendenz, den ersten Punkt zu stark zu betonen. Allerdings lässt sich das Wetter nicht auf Monate hinaus vorhersagen, und eine digitale Transformation ist in der Regel eine längere Reise. Demensprechend sind noch detailliertere Planungen und Analysen ab einem gewissen Punkt nicht mehr hilfreich, sondern kosten vor allem Zeit und Flexibilität. Schließlich hat Unsicherheit auch eine positive Kehrseite, nämlich in Form von unerwarteten Chancen, die sich bieten: eine Trauminsel, die nicht auf dem Plan stand oder unverhoffter Rückenwind (z.B. eine spezifische Kundennachfrage). Diesen Wind kann man aber nur mit einem „Spinnaker“ voll ausnutzen — z.B. in Form eines agilen App-Entwicklerteams, das eine kurze time-to-market ermöglicht.

Unabhängig davon, ob sich spontan Chancen auftun oder Risiken entstehen, ist eine stark hierarchisch geprägte Führungskultur, die auf strikten Vorgaben und Kontrolle basiert, in der Regel schlecht geeignet, um unter Unsicherheit im Rahmen einer digitalen Transformation zu navigieren. Das Schiff muss vielmehr selbst „spüren“, wenn das Wasser zu flach wird oder ein Sturm aufkommt. Und die Mannschaft sollte in die Lage versetzt werden, sofort im Sinne der gemeinsamen Zielsetzung zu reagieren. Zu warten bis der Kapitän in der Nacht geweckt wurde und auf der Brücke erscheint, ist angesichts kurzer digitaler Innovationszyklen oftmals schlicht zu langsam.

Welche Unsicherheiten und Risiken am relevantesten sind, kann sehr unterschiedlich sein — so wie harmlosere Stürme einem großen Kreuzfahrtschiff im Gegensatz zu einer Segelyacht wenig anhaben können, Untiefen jedoch auch dem größten Schiff zum Verhängnis werden können. Analog dazu sind Unternehmen unterschiedlich anfällig für sogenannte „Risikomuster“, d.h. typische Ereignisse und Verhaltensweisen, durch welche digitale Transformationen (bzw. Innovationsvorhaben im Allgemeinen) in Schwierigkeiten geraten oder gar scheitern können. Anhand des im Kapitel „Die Kraft der Welle nutzen“ beschriebenen „BM Waves Tests“ analysiert SOMMERRUST die Anfälligkeit von Unternehmen für derzeit zehn verschiedene Risikomuster (siehe Exkurs 1), die jeweils eine Abweichung von der „perfekten Welle“ des „Business Model Waves“-Modells darstellen. Zu den Faktoren, welche das Auftreten von Risikomustern begünstigen, zählen z.B. mangelnde Kreativität, unzureichende Analysen, fehlender Konsens, eine uninspirierte Vision u.v.m.


Exkurs 1: Zehn typische Risikomuster:

  1. Kollabierende Welle (schleichend wachsende Komplexität)
  2. Kraftlose Welle (fehlende Vision)
  3. Weißwasser-Welle (fehlender Konsens)
  4. Kamikaze-Welle (unzureichende Vorbereitung)
  5. Fragile Welle (fehlende konzeptionelle Verknüpfung)
  6. Schockwelle (Vernachlässigung weicher Faktoren)
  7. Phantom-Welle (Mangel an Kreativität)
  8. Versandende Welle (keine Optimierung nach dem Go-live)
  9. Intuitive Welle (unzureichende Analyse)
  10. Haifisch-Welle (Bedrohung durch Wettbewerber)

Ein Beispiel für ein konkretes Risikomuster ist die sogenannte Kollabierende Welle (siehe Abbildung). Dabei wird die digitale Transformation mit immer mehr Funktionen überfrachtet und mit so vielen Interessen in Einklang gebracht, dass statt zusätzlichem Wert für die Kunden oder Nutzer vor allem Komplexität generiert wird. Das Ergebnis sind unbeliebte, schwer bedienbare Softwaresysteme, anfällige Prozesse und unattraktive, überteuerte Produkte.

Kollabierende Welle
Abbildung: Risikomuster „Kollabierende Welle“

Wie bereits erwähnt, sind die Risikomuster je nach Unternehmen unterschiedlich stark ausgeprägt. Für die „Kollabierende Welle“ gilt, dass größere Unternehmen tendenziell anfälliger sind: Während die Kollabierende Welle bei über der Hälfte der von uns analysierten Unternehmen mit mehr als 10.000 Mitarbeitern zu den drei gravierendsten Risikomustern zählt, ist dies bei weniger als einem Viertel der Unternehmen mit unter 1.000 Mitarbeitern der Fall. Andere Risikomuster sind im Gegensatz dazu nicht oder negativ mit der Unternehmensgröße korreliert.

Da jedes Risikomuster durch andere Gegenmaßnahmen entschärft oder gar ganz vermieden werden kann, ist eine individuelle Risikoanalyse und ‑prävention in jedem Fall sinnvoll. Droht eine Kollabierende Welle, so sollten Unternehmen darauf achten, Komplexität frühzeitig aktiv zu managen (siehe Exkurs 2), die Autorität und Entscheidungsfähigkeit auf Projektebene sicherzustellen oder das digitale Transformationsvorhaben komplett vom Kern des Unternehmens abzutrennen, wie z.B. bei REWE für Online-Aktivitäten mit der REWE Digital GmbH geschehen.


Exkurs 2: Komplexität beherrschen — aber wie?

Der wirksamste Schutz gegen „schlechte“ Komplexität liegt darin, sie schon in einem sehr frühen Stadium einzudämmen. So sollte bereits die Ideengenerierung durch multidisziplinäre Teams erfolgen, z.B. in Form von Design Thinking-Workshops. Das notwendige Expertenwissen ist somit direkt im Raum und spätere, behelfsmäßige Anpassungen können vermieden werden. Des Weiteren sind Lean Startup-Konzepte wie das „Minimum Viable Product“ (also das einfachste, brauchbare Produkt) geeignet, um Innovationsvorhaben auf das Wesentliche zu fokussieren. Idealerweise wird das Geschäftsmodell-Design unter gemeinsamer Mitwirkung aller wichtigen Entscheidungsträger erarbeitet. Auf diese Weise werden individuelle Vorstellungen nicht nacheinander addiert, sondern können direkt abgewogen und intelligent kombiniert werden. (Quelle: Ergebnis-Report BM Waves Test von SOMMERRUST)



Der obige Text ist ein Auszug der Publikation Digitale Transformation in Unternehmen — Navigationskompass für die Reise in die digitale Welt. Der Report ist eine Sammlung von Expertenbeiträgen, welche anhand der Analogie einer Schiffsreise verschiedene Aspekte Digitaler Transformation erläutern. Herausgegeben wurde der Report von der Berlin School of Digital Business, einem Tochterunternehmen von etventure. SOMMERRUST hat neben diesem Kapitel ein weiteres beigesteuert: Die Kraft der Welle nutzen.

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